Argumentationsanregungen für Mitarbeitende in der verbandlichen
Kinder- und Jugendarbeit
Die Bildungsdebatte ist in vollem Gange, besorgniserregend ist die geringe Rolle, die die Angebote der verbandlichen Jugendarbeit im Rahmen dieser Debatte spielen. Die Ursachen hierfür sind sicherlich vielschichtig. Inzwischen sprechen Studien der verbandlichen Jugendarbeit Bildungsleistungen in informellen Kontexten zu, d.h. außerhalb der üblichen Bildungsinstitutionen. Die Frage lautet also weniger ob, sondern wie verbandliche Jugendarbeit bildet und wie wir Verbände das kommunizieren.
Klar ist: Die verbandliche Jugendarbeit (als Teil der außerschulischen Jugendarbeit) sollte ihren Beitrag zur Bildung von jungen Leuten trotz strukturell bedingten Offenheit der Debatte in den eigenen Reihen noch deutlicher benennen. Jemand anderes wird das nicht für sie erledigen. Jugendverbände sind Akteure in der Bildungslandschaft vor Ort mit besonderen Bildungsangeboten!
Folgende Argumentationsanregungen sollen ehren- und hauptamtlichen Mitarbeitenden der verbandlichen Jugendarbeit als Basis für allgemeine und konkrete Debatten, intern, mit Politikern und Institutionen über die Frage dienen, welchen Beitrag Verbände zur Bildung junger Leute liefern und worin die besonderen Chancen von Bildungsprozessen in dieser Organisationsform liegen.
Dabei verstehen wir Bildung als den Prozess des Erlangens eines reflektierten Verhältnisses zu sich, zu anderen und zur Welt. Der individuelle Charakter jeglicher Bildung, die plurale Verfasstheit moderner Demokratien und die kulturelle Weite der sich ausbildenden Weltgesellschaft bedingen und erfordern ein breites Spektrum an Entwicklungsaufgaben und Lerngelegenheiten für junge Leute, die nicht in einem Curriculum zusammenfassbar und von einer Hand voll Institutionen leistbar sind. Vielfalt erfordert Vielfalt!
Verbandliche Jugendarbeit bietet in diesem Sinne, neben der Förderung sachlicher Kompetenzen, eigenständige, z.T. exklusive Lernfelder und Lernarrangements, in denen sich ihre Grundprinzipien spiegeln:
- Vielfalt und Selbstbestimmtheit der potentiellen Lernprozesse und damit emotionale Beteiligung auf sehr hohem Niveau.
- Demokratische Aushandlungsprozesse als Standard in überschaubarem Setting mit direkt erlebbaren Erfolgen. Demokratisches Denken und Handeln wird am Modell der eigenen Organisation gelernt.
- Verantwortungsübernahme als Prinzip: Lange Schulphasen und der Aufschub der Erwerbstätigkeit und der ökonomischen Selbständigkeit halten junge Menschen weitgehend von gesellschaftlicher Verantwortungsübernahme fern. Freiwilliges Engagement im Jugendverband bietet die Möglichkeit, in Realsituationen für sich und andere Verantwortung zu übernehmen und dadurch die Erfahrung konkreter Nützlichkeit sowie persönlicher und gesellschaftlicher Relevanz des Tuns zu machen. Lernleistungen erhalten eine unmittelbare Sinnhaftigkeit.
- „learning by doing“ als Prinzip in relativ geschütztem Raum bei verantwortungsvoller Selbsterprobung in Ernstsituationen. Fehlermachen kann so als Lernchance, nicht als persönliches Defizit erlebt werden.
- Hohe Lernintensität durch Freiwilligkeit der Teilnahme („Brain runs on fun“)
Die beschriebenen Prozesse sind Realität im Alltagsgeschäft der Jugendverbände, beispielsweise…
- bei Freizeiten und Lagerfahrten,
- bei der Entwicklung von Projekten und Aktionen,
- in Gruppenstunden,
- in der Sportmannschaft,
- beim Training,
- in Gruppenleiterrunden und Leitungsteams,
- in Leiterinnenschulungen,
- bei Übungsleiterlehrgängen
- in inhaltlichen Seminaren,
- in den verschiedenen Strukturebenen der Verbände,
- in Fachgremien und Facharbeitsgruppen,
- bei 72h-Aktionen.
Junge Leute sind im Rahmen dieser Veranstaltungen die Subjekte ihrer eigenen Bildung. Sie wählen aus dem Spektrum der Lernmöglichkeiten diejenigen, die zum jeweiligen Zeitpunkt für sie relevant sind und sie weiter bringen.
Erlernbare Kompetenzen in der verbandlichen Jugendarbeit sind konkret:
Teamfähigkeit
In der Gruppe zusammenarbeiten, andere in eine Gruppe integrieren, gemeinsam Aufgaben lösen, in der Gruppe zurückstehen können, sich für Schwächere einsetzen, Kritik üben und Kritik annehmen.
Kommunikative Fähigkeiten
Kontakte knüpfen, Sachverhalte anschaulich erklären, frei vor Gruppen sprechen, seinen Standpunkt vertreten, aktives Zuhören, Projekte präsentieren.
Konfliktlösungsfähigkeit
Kompromisse finden, Probleme lösen, Streit schlichten, die Sicht des Anderen verstehen lernen, Konflikt als eine Chance der Veränderung begreifen lernen.
Leitungskompetenz
Entscheidungen treffen, andere von etwas überzeugen können, die Initiative ergreifen, Verantwortung übernehmen, Durchsetzungsvermögen erlernen, dass eigene Leitungsverhalten reflektieren und einen eigenen Leitungsstil entwickeln.
Organisationsfähigkeit
Dazu gehören: Die Planung und Durchführung von Aktionen, Projekten, Reisen und Tagungen, ebenso das Recherchieren von Informationen, dass Planen von Aufgaben und entsprechenden Arbeiten.
Selbstständigkeit
Das sind: Eigenständig Aufgaben übernehmen und lösen, Entscheidungen treffen, sich selbstständig Wissen aneignen, die eigene Position finden und vertreten.
Flexibilität
Dazu gehören: Sich auf neue Situationen einstellen und mit ihnen zurechtkommen, in ungewohnten Situationen improvisieren können.
Leistungsbereitschaft
Dass sind: Zuverlässigkeit und Verbindlichkeit, Ausdauer, die Fähigkeit mit Stress umzugehen, mehrere Aufgaben gleichzeitig zu bearbeiten, Belastbarkeit und Disziplin.
Handwerkliche/ technische/ sprachliche /kreative Kompetenzen
Dazu gehören: Texte schreiben, Protokolle verfassen, Presse und Öffentlichkeitsarbeit, mit dem Computer arbeiten, Computerprogramme lernen, Websites gestalten, Printmaterial erstellen, kaufmännisches/ medizinisches/ juristisches Wissen aneignen, Methoden für die Arbeit mit Gruppen lernen und einsetzen können, Ideen kreativ entwickeln und kreativ bearbeiten, Sprachen lernen.
Partizipation und Mitbestimmung
Dass sind: Vertretung von eigenen und von Gruppeninteressen in Gremien, Bedürfnisse und Interessen anderer berücksichtigen, lernen von demokratischen Vertretungsstrukturen in Gruppe und Verband, mitentscheiden dürfen und mitentscheiden lassen.
Viel Spaß beim Diskutieren!
Grundlagen/Hinweise/Links:
1. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Freiwilliges Engagement in Deutschland 1999 – 2004 Ergebnisse der repräsentativen Trenderhebung zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und bürgerschaftlichem Engagement. München 2005 (Der Bericht steht sowohl in einer gekürzten Internetfassung wie auch als kompletter Bericht als Download HIER zur Verfügung
2. Nörber, M.: Ehrenamtlich engagiert. In Amerika selbstverständlich und in Deutschland nicht? In: sozialmagazin, Heft 11/2005, 34-41
3. Landesjugendring Rheinland-Pfalz, 1. Bildungsgipfel, Bildung ist mehr als Schule – Kompetenzvermittlung im Jugendverband, Dokumentation der Ergebnisse vom November 2007 Das Dokument gibt es zum Download HIER
4. Amt für Jugendarbeit der evangelischen Kirche im Rheinland: Pisa 2000, Welche Bildung brauchen Kinder und Jugendliche, Beiträge und Perspektiven evangelischer Jugendarbeit, Dokumentation der Fachtagung der aej NRW am 19. März 2002, Düsseldorf, 2002.
5. Düx, W., Sass, E., Lernen in informellen Kontexten. Lernpotentiale in Settings des freiwilligen Engaments. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaften, Heft 3/2005, S. 394-411.